Er ist längst eine Legende – der Busso-V6-Motor in der Alfetta GTV6: Blickfang beim Öffnen der Motorhaube sind zwar in der frühen Ausprägung noch nicht die sechs verchromten Ansaugrohre, die sind späteren Modellen wie dem Alfa Romeo 155, dem Alfa Romeo 156 oder dem Alfa Romeo GT vorbehalten. Dafür brilliert der Motor bereits beim GTV6 mit speziellen Qualitäten: Einmal gestartet, entweicht ein unvergleichlicher Sound den Auspuffrohren.

Lange Sechszylindergeschichte

Die 6-Zylinder-Motoren von Alfa Romeo haben eine lange Tradition. 1920, zehn Jahre nach der Gründung, wurde ein erster Reihensechszylinder in das Modell G1 (35-50 HP) eingebaut, ab dem 6C 1500 wurden jeweils zwei Nockenwellen spendiert. Diese Reihensechszylinder gelangten in unterschiedlichen Baureihen in die 6C 1750, 6C 1900, 6C 2300 und 6C 2500 – alles glorreiche Autos aus der Zeit vor dem 2. Weltkrieg (die Nachkriegs 6C 2500 basierten auf den Vorkriegsmodellen).

Mit der 2600er Typenreihe (Berlina, Osi, Sprint, Sprint Zagato, Spider) war ab 1962 für einige wenige Jahre wieder ein Reihen-Sechszylinder aus der Mailänder Manufaktur auf dem Markt, dann folgte eine etwas länger als zehn Jahre dauernde Pause – nicht zuletzt der Erdölkrise im Jahre 1974 geschuldet.

Neun Jahre Entwicklungszeit

Anfangs der 70er Jahre nahm Alfa Romeo einen Anlauf für einen neuen Sechszylinder-Motor. Es dauerte aber noch neun Jahre, bis das Triebwerk im April 1979 den Weg in die neue Berlina Alfa Romeo 6 (für sechs Zylinder) fand.

Manierlich aufgesetzte Dell’Orto Fallstromvergaser, sechs an der Zahl, damit die Einstellarbeiten ja nicht zu einfach werden, sorgten für die Alimentierung mit Treibstoff.

Bei der Konstruktion entschied sich Giuseppe Busso für einen V6. Über die Beweggründe kann nur spekuliert werden. Sicherlich baut ein V6 weniger lang als ein Reihenmotor, möglicherweise baut er auch nicht so hoch. Es ist schwierig, eine allfällige Gewichtsreduktion – wenn überhaupt – einzuschätzen. Alu ist einerseits leichter, die Kurbelwellenlager werden durch die verschränkten Kröpfungen grösser und schwerer und zudem sind auch die Ausgleichsgewichte grösser. Es braucht doppelt soviele Nockenwellen und Antriebsräder dazu und zwei Zylinderköpfe. Alles in allem dürfte kein Gewichtsvorteil entstehen.

Bleiben also Baulänge und Höhe als Vorteile: Im Alfetta-Coupé mit der keilförmig tief heruntergezogenen Schnauze hätte ein Reihen-Sechser wahrscheinlich gar keinen Platz gefunden.

Zutaten vom Feinsten

Bussos Ingredienzen der Mischung für den Motor waren vom Feinsten: Aluminium, Zylinderwinkel 60 Grad und damit besonders kompakt und leicht, die Kurbelwelle vierfach gelagert, nasse Buchsen, mit 68,3 mm Hub und 88 mm Bohrung ein extremer Kurzhuber. In der Ausführung für den GTV 6 mit je einer obenliegenden Nockenwelle (später folgten zwei Stück pro Zylinderbank) für die direkte Steuerung der Einlassventile.

Stösselstangen und Kipphebel steuerten die natriumgekühlten Auslassventile. Die Verbindung von der Kurbelwelle zur Nockenwelle stellte – im Gegensatz zu den damals aktuellen 4-Zylinder-Motoren mit Kette – neu ein Zahnriemen sicher. Die Wasserpumpe wurde über einen separaten Keilriemen bedient.

Und, im Gegensatz zur Berlina, sorgte im GTV 6 eine elektronische Bosch-L-Jetronic-Einspritzung für die Benzinversorgung. Der Motor gibt 160 PS mit einem maximalen Drehmoment von 213 Nm bei 4‘000 U/min ab.

Von 0 bis 100 km/h beschleunigt der GTV6 in 8.2 Sekunden, die Spitze liegt bei 218 km/h. Für ein Auto aus der Zeit der frühen Achtzigerjahre sind dies eigentlich ganz respektable Werte. 

Enthusiastisch aufgenommen

Die Alfa-Romeo-Fangemeinde reagierte begeistert auf das neue Modell. Obwohl: Mit 28‘950 Franken lag der Preis deutlich über demjenigen der direkten Konkurrenten BMW 323 (Fr. 22‘150) oder Datsun 280 (Fr. 24‘500). Dafür verwöhnte das sportliche, von Giorgio Giugiaro gezeichnete 2+2-Coupé die Fangemeinde mit tollen Fahrleistungen und hochwertiger Technik. In der Retrospektive ist der GTV6 das letzte Coupé von Alfa Romeo mit Hinterradantrieb.

Aus der Sicht des Rennmotoren-Ingenieurs

Wie beurteilt nun einer der arriviertesten und erfolgreichsten Rennmotoren-Ingenieure, der selbst ein Alfa Romeo-Bertone-Coupé in seiner Garage stehen hat, aus heutiger Sicht diesen Motor?

Das erste, was Mario Illien ins Auge sticht: „Eigentlich ist ein V6 vom konstruktiven Aufbau her gesehen suboptimal. Die Kurbelwellen-Kröpfung ist versetzt, damit die Zündabstände gleich sind“, um dann bei den 160 PS unweigerlich auf die Leistungsausbeute sprechen zu kommen: „Es wäre sicher möglich gewesen, wesentlich mehr Leistung herauszuholen“, fügt er an – ganz der Rennmotoren-Ingenieur. Der GTV6-Motor ist als Zwei-Ventiler auf die Welt gekommen, in spätere Baureihen wurden dann Vier-Ventiler gebaut.

„Beim Zwei-Ventiler lässt sich der Brennraum von der Form her nicht so ideal gestalten, wie beim Vier-Ventiler. Die Vier-Ventiler-Lösung garantiert idealere Frischgas-Walzen und damit eine optimalere Verbrennung“, erklärt Illien.

Auch beim Zahnriemenantrieb ist er skeptisch. „Mit einer Kette sind die Steuerzeiten genauer“, erklärt er. Dafür findet er es idealer, im Gegensatz zu den späteren V6-Ausführun­gen, dass die Wasserpumpe separat über einen Keilriemen angesteuert und dass nicht „über ein Gedärm von Zahnriemen auch noch Servopumpe, Alternator und Klimakompressor“, wie er es nennt, angetrieben werden.

Alfa Romeo GTV6 (1981) – der V6-Motor von vorne gesehenCopyright / Fotograf: Centro Documentatzione Alfa Romeo Arese

Begeistert ist Illien vom Sound des Triebwerkes. „Der ist einerseits auf tolle Leute, die das Auspuffsystem entwickelten, zurückzuführen.

Andererseits aber auch auf den gleichmässigen Zündabstand des Motors mit zwei Kurbelwellenumdrehungen bei 720 Grad“, erklärt das Bündner-Motorengenie und attestiert Alfa Romeo, ein im Vergleich zu Konkurrenten aufwändiges Triebwerk konstruiert zuhaben: „Ein V6 in Aluminium, mit bis zu vier verstellbaren Nockenwellen und zwei Zylinderköpfen ist vom Aufwand her per se schon viel teurer als ein Reihenmotor“.

Dies dürfte für Sergio Marchionne, dem glücklosem Alfa-Romeo-Manager, auch der Grund gewesen sein, den Busso-Motor Ende 2005 auslaufen zu lassen und für die Alfa Romeo Modelle Brera und 159 den GM-Grauguss-Block zu übernehmen…

Alfa Romeo GTV6 3.0 (1990) – Dreiliter-Variante mit 24 Ventilen (und „Gedärm“)Copyright / Fotograf: Centro Documentatzione Alfa Romeo Arese

Das Ende der Fahnenstange für den damals im GT-Coupé verbauten 3.2 Liter-Motor in Sachen Leistung gibt Mario Illien mit einer Zahl, die deutlich über 300 liegt, an. „Es wären sicher 350 PS drin gewesen“, schmunzelt er.

Der begnadetet Ingenieur Giuseppe Busso musste noch erleben, wie Sergio Marchionne schnöde den Stecker zog. Der Alfa Romeo-Manager, immer nur Stakeholder-Interessen vor Augen, beendete zum Jahresende 2005 die Herstellung des V6-Motors. In die 159er- und Bre­ra-Modelle wurden nun die unsäglichen V6-GM-Motoren eingebaut, die sich durch schlechtere Leistungsdaten auszeichneten und dies durch unglaublich hohe Verbrauchswerte kompensierten.

Cosworth, berühmter britischer Rennmotoren-Hersteller, war scharf auf die Montagelinie des Alfa-Romeo-V6-Motors. Die Italiener, respektive die Turiner-Firmenzentrale, waren aber nicht bereit, zu verkaufen. Den Engländern war sicher bewusst, dass die letzte Version des 3,2-l-Motors Euro4-konform war und es möglich gewesen wäre, das Triebwerk noch einige Jahre produzieren zu können.

Wenige Tage nach dem Produktionsende „seines“ Motors starb Giuseppe Busso im Alter von 93 Jahren. An seiner Beerdigung am 7. Januar 2006 versammelten sich einige Alfa-Romeo-Enthusiasten und die liessen ihm zu Ehren nochmals die V6-Motoren ihrer Alfa Romeos mit dem unvergleichlichen Sound laufen und aufheulen……

Dieser Artikel ist auf Zwischengas.com erschienen